Nach einem meiner zahlreichen Streifzüge durch die Welt der Privatverkäufe war ich mal wieder fündig geworden. Und, auch das eine Wiederholung: Liebe auf den ersten Blick. Andere sind froh, wenn ihnen das einmal im Leben zuteil wird, mir passiert das ständig. Na ja, zumindest bei alten Möbelstücken. Sonst wäre es ja auch allmählich unglaubhaft – und mein wahres Herzenskleinod und Lebensgefährte wahrscheinlich längst über alle Berge. So aber kann er gut damit leben, schließlich gehört meine wahre Liebe, von Mensch zu Mensch, ihm, was er genau weiß. In diesem Bewusstsein nimmt er meine möbeltechnische Promiskuität gelassen hin – wenngleich er immer wieder staunt, was sich aus dem alten Geraffel so rausholen lässt…
Die Chippendale-Konsole wird schwer unterschätzt
Im Internet gesehen, verliebt, den Zuschlag bekommen, glücklich! „Ha, ja, ganz nett, aber das ist Teil ja völlig im A…! Was willst’n damit?“ Sagt der Mann. „Das ist so ganz was Besonderes und das krieg ich hin!“ Sag ich. Und meine das auch so!
Wie immer muss das gute Stück erst mal präpariert und auf Null runtergebracht werden, bevor es in Transformation gehen kann. Wie ich schon gehofft hatte, ist das „Chippy“ mit Schelllack lackiert worden. Der Wasserschaden auf der Deckelplatte hat zwar bei einem der Vorbesitzer neuzeitliche Panikgefühle ausgelöst und er oder irgend ein anderer Vollpfosten hat versucht, Gefühle und Schaden zu kompensieren, indem er ordentlich Chemielack auf das ruinierte Furnier samt der sich lösenden Intarsien gekleistert hat. Geholfen hat’s wohl nix…
Spiritus und Küchenrolle = oben rechts das Ergebnis eines einzigen Beins. Nun ja, aus einem rauchfreien Haushalt stammt die Konsole wohl nicht… Aber egal: einen Liter Spiritus und eine dreiviertel Küchenrolle später ist der Lack weitestgehend ab und das darunterliegende Holz zeigt seine wahre, viel freundlichere Farbe.
Die Entfernung des völlig zerstörten Intarsienmotivs hingegen gestaltete sich ungleich schwieriger. Stellenweise war das Eingelegte samt Furnier mit Knochenleim befestigt worden, doch ein weiterer, oder auch der selbe Vollpfosten, der Rettungsversuche mit Chemielack unternahm, hatte wohl mit Weißleim unterspritzt. Bügeleisen? Keine Chance! Heißluftfön und Spachtel? Auch keine Chance! Erst, als ich den Wasserschaden mit Wasser und Hitze bekämpfe, tut sich was. Das Bügeleisen auf Leinenstufe, ein pitschepatschenasses Schwammtuch aufgelegt, unter Erzeugung unerträglich heißer Dampfwolken, sofortiges Ansetzen einer Spachtelklinge und – kaum zwei Stunden später – das alte Zeug ist ab. Und mein Bügeleisen, selten genutzt, aber bis dato mit wäschetauglicher Bügelsohle, ist ruiniert. Na gut, wird’s eben zum Furniereisen umfunktioniert!
Tja, aber was für ein Motiv mach ich stattdessen drauf??? Mir schwebt ja was vor: ich habe einen vierblättrigen Satz von Korallenbaum-Wurzelholz in meinem Fundus. Gespiegelt und gekontert ergäbe das ein wundervolles Rorschachmotiv. Die Betonung liegt auf dem Konjunktiv, denn erstens ist ausgerechnet an einer maßgeblichen Ecke eines der Furnierblätter etwas weggebrochen und zweitens ist die Spiegelblume auch nach Wegschneiden der Fehlstelle des einen Blatts, das natürlich auf allen Blättern erfolgen muss, immer noch viel zu groß, um auf der vorhandenen Fläche zur Geltung kommen zu können. Was also nun? Fast hätte ich mir Chippendales „The Gentleman & Cabinet Maker’s Directory“ zugelegt, um mich von des Meisters Ideen beflügeln zu lassen. Doch was ich im Vorfeld schon recherchiert hatte: der gute Thomas bevorzugte Florales – und das war nun so gar nicht meins.
Den Zeigefinger mehrmals nachdenklich unter der Nase gerieben – plötzlich war die Idee da! Warum nicht das Rautenmuster des Korpus wiederholen, nur, weil es ja für den Deckel ist, etwas prominenter, ein wenig prunkvoller. Genial!!!!
Also leime ich 5 Schichten Furnier aufeinander – und schneide nach dem Abbinden des Leims in noch leicht feuchtem Zustand möglichst dünne Streifen von der Prinzregenten-Mutter. Boah, was für eine Strafarbeit!!!
Dann rasch ausgerechnet, in welchem Abstand die Furnierlinien am besten wirken, mit Bleistift auf den Deckel übertragen, die selbstgebaute Frässchiene für den Dremel aus der Versenkung gekramt, für den ersten Fräsgang montiert – und go! Mit schwer klopfendem Herzen, schweißfeuchten Händen und einer gewissen Schicksalsergebenheit wage ich den ersten Fräsgang. Geil! Noch einen? Na klar, ich mache am besten alles in einem Aufwasch!
Jawoll, das sieht ganz gut aus! Zwar keine hundertprozentige Präzisionsarbeit, doch immerhin ganz akzeptabel.
Die Prinzregenten sind mittlerweile verlegt und fest verleimt. Jetzt geht’s an die Füllung der Rauten Das brüchige Wurzelholz vom Korallenbaum habe ich mit Filmoplast hinterklebt – nun lässt es sich schneiden, ohne zu splittern! Wie Butter gleiten Messer und Schere durch das delikate Furnier. Vor dem Leimen zur Überprüfung des Sitzes nochmal komplett ausgelegt. Passt! Kann losgehen!!!
Verleimt, mit extrem verdünntem Schelllack erstgestrichen, geschliffen und weiter geschelllackt: ich bin ein bisschen stolz, aber auch ein wenig ungläubig – der Deckel kann sich echt sehen lassen! Das „Chippy“ erstrahlt in neuem Glanz und Korpus und Deckel harmonieren so gut, als wäre das nie anders gewesen.
Na, na, na, sooo schlecht ist das jetzt nicht geworden oder? „Hätt ich nicht gedacht!“, sagt mein Herzenskleinod, während er prüfend auf dem Deckel herumklopft und selbigen probehalber mehrmals auf- und zuklappt – völlig quietschfrei …
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