UNERWARTET eDEL: DIECKMAnN UND WuRZELHOLZ

Dieckmann, Bauhaus, klare Linien. Genau. Wurzelholz? Ne, das kommt einem in diesem Zusammenhang eher nicht in den Sinn. Passt aber ganz hervorragend zusammen! Back to the Roots? Gewissermaßen. Übrigens: Wurzelholz heißt auf englisch „burl wood“ – also „Knotenholz“. Das trifft die Sache auch besser, denn das, was man als landläufig als Wurzelholz bezeichnet, ist eine bakteriell bedingte, krankhafte Zellwucherung an Bäumen. Und die findet durchaus oberirdisch statt, hat nix mit Wurzeln zu tun, sondern in der Regel vermehren sich die Zellen des Stammholzes in Form von mehr oder weniger dicht wuchernden Knötchen, die im Querschnitt diese begehrte Maserung erzeugen.

Begehrt, auch von mir! Wie so viele andere kann nämlich auch ich mich nicht sattsehen an diesen Strukturen, zusammengesetzt aus Hunderten, aus Tausenden von kleinen augenförmigen Knötchen, die so interessante Muster bilden, die so lebendig, ja, einfach wundervoll und wunderschön sind. Man kann natürlich Wurzelholz-Furniere in allen nur erdenklichen Farben und Äuglein-Dichten kaufen, doch die dünnen Holzblätter sind teuer und schwer zu verarbeiten, weil sie aufgrund ihrer kleinteiligen Struktur zur Brüchigkeit neigen. Einen ganzen Stuhl damit furnieren? Undenkbar! Zumindest für mich …

Alternative zum teuren Wurzelholz-Furnier? DIY-Maserierung!

Eine Technik, die ich erst vor kurzem für mich entdeckt habe – und die ich total faszinierend finde. Und da kam mir dieser Stuhl gerade recht! Ich hatte ihn bei ebay Kleinanzeigen erworben und wollte ihn eigentlich ähnlich aufarbeiten wie den, den Mama vor zwei Jahren aus dem Gartenhaus hervorgezogen hatte. Ein Bauhaus-Stück nach Erik Dieckmann – stilvoll, schlicht und sehr bequem.

Mein zweiter Dieckmann

Es fing auch alles sehr gut an: ich entdeckte den hübschen Stuhl mit beschädigtem Geflecht zum günstigen Preis, und der supernette Verkäufer lieferte ihn mir auch noch kostenlos nach Hause. Beim Abschleifen aber merkte ich: dieser Stuhl ist, im wahrsten Sinne des Wortes, aus einem ganz anderen Holz gemacht als sein Vorgänger! Kein gut erhaltenes Buchenholz, das man nature belassen konnte, sondern mehrfach lackiertes Weichholz von recht zweifelhafter Qualität. Und die schon ganz klebrige, dicke Lackschicht, die kaum abzubekommen war, hatte das Holz auch noch verfärbt. Schade, aber da musste nun eine andere Lösung her!

Nur welche? Ich würde das Holz, so oder so, vollflächig mit deckender Farbe zukleistern müssen, um den Stuhl ansehnlich zu machen. Doch ihn wieder lackieren, das wollte ich nicht und auch Kreidefarbe oder gar der, ach, so gehypte Shabby-Look kam natürlich nicht in Frage. Lange stand der Stuhl deshalb in abgeschliffem Zustand auf unserer überdachten Terrasse. Und ich war ebenso lange ratlos. Bis, ja, bis ich diese Technik kennenlernte. Das würde allerdings ein riskantes, ein ziemlich gewagtes Projekt werden – schließlich hatte ich Null Erfahrung mit dieser Art der Holzveredelung und keinerlei Übung damit. Trotzdem wollte ich mich unbedingt in dieses Abenteuer stürzen.

Und wenn ich mir was in den Kopf setze …! Ich absolvierte also einige Versuche auf Musterbrettchen – entdeckte einen gangbaren Weg – und wagte es tatsächlich! Und es hat sich gelohnt!!!

Projekt ▪Bauhaus goes Wurzelholz ▪

Bevor ich jedoch richtig loslegen konnte, entfernte ich das Geflecht, das auf den ersten Blick eigentlich gar nicht so schlecht aussah. Bei näherem Hinsehen jedoch kamen diverse Mängel hervor… Die Dänische Schnur war morsch, brüchig, verdreckt, die Nägel allesamt rostig und kurz vorm Abfallen, das Gestell darunter an zwei, drei Stellen gesplittert. Mühevoll und unter Erzeugung einer unsäglichen, muffig riechenden Staubwolke machte ich den Stuhl nackt und sauber und stabilisierte ihn. Schon besser!

Dann die Grundierung mit karamellfarbener Wandfarbe, die sich gnädig über das immer noch unansehnliche Gestell legte. Trocknen lassen, glatt schleifen, noch einmal grundieren – und schon sah das Stuhlgestell viel, viel besser aus!

Dann begann endlich die Verwurzelholzung der Oberfläche, Segment für Segment. Das dauerte zwar, doch es war bzw. ist unumgänglich: bei zu großen Flächen nämlich besteht die Gefahr, dass man zu lange mit all den erforderlichen Durchgängen braucht und der Farbauftrag deshalb frühzeitig wegtrocknet. Das aber darf nicht passieren, denn die Maseriertechnik funktioniert nur nass-in-nass.

Auf den Bildern oben sieht man im Kurzdurchlauf, wie der Wurzelholz-Look entsteht. Das genaue Vorgehen habe ich jedoch bereits in einem anderen Beitrag Schritt für Schritt erklärt. Dort wird auch das erforderliche Material genannt.

Als die Grundbemalung stand, versuchte ich etwas, was ich bei meinen Tests auch noch nicht angewandt hatte: ein leichtes Anschleifen mit 180er Schleifpapier und das anschließende Aufbringen einer Mischung aus dunkelbrauner Lasur, Wasser und Latexbindemittel. Das sollte die harten Kontraste der gemalten Wurzelholz-Struktur etwas herabsetzen und natürlicher wirken lassen. Und ja, das brachte tatsächlich noch eine Stufe mehr an naturähnlicher Wirkung!

Nach dieser Behandlung ließ ich das gute Stück zwei Tage durchtrocknen, bevor ich nochmal leicht drüberschliff und es abschließend mit Schellack versiegelte. 3 Schichten Schellack später: das Stuhlgestell war nun wirklich fertig. Und ich konnte mein Glück kaum fassen: der ehemals marode Dieckmann sah, im Vergleich zu vorher, unfassbar wertig und edel aus!

So wertig und edel, dass mir die eigentlich geplante Bespannung mit Sisalschnur nicht mehr passend erschien – viel zu rustikal! Doch womit sollte ich sonst bespannen? Diese Frage stellte ich mir in aller Ernsthaftigkeit, obwohl sich die Antwort, die einzig angemessene Lösung, bereits im Hinterkopf formierte und immer konkreter wurde.

Gibt es 50 Meter lange Rinder?

Und diese Lösung hieß Leder. Genauer gesagt: ein Geflecht aus flachen Lederriemen. Doch das war leichter gesagt als getan. Wie ich nämlich feststellen musste, gab es keine Echtlederriemen, die länger als zwei, drei Meter gewesen wären – logisch, denn es gibt ja auch keine Rindviecher, die 10, 20 oder gar 50 Meter lang sind. Doch, so errechnete ich, hätte mir die Verwendung der kurzen und recht teuren Streifen zu viel Ausschuss beschert. Das Material zur Bespannung des Stuhls wäre, je nach Riemenbreite, auf über 350 Euro gekommen. 350 Euro, nein, das war mir, trotz aller optischen Wertigkeit, dann doch zu viel.

Die günstigere Alternative hieß Kunstleder. Aber auch da war die Wahl nicht ganz einfach. Das Material sollte natürlich möglichst echt aussehen, die nötige Zugfestigkeit besitzen und trotzdem geschmeidig zu verarbeiten sein.

Bevor ich mich da allerdings für ein Produkt entschied, musste ich mich farblich festlegen – und bemühte zu diesem Zweck, wie immer, meinen Computer. Schwarz, dunkelbraun oder natur? Ganz klar: es musste schwarz sein! Doch wo bestellen? Das hing nun von meinen Berechnungen ab: ich wollte Riemen in einer Breite von 20 bis 25 Millimetern Breite und brauchte, um möglichst wenig Aussschuss zu haben, mindestens jeweils 5 Meter am Stück, besser noch länger.

Schließlich wurde ich bei einem oberbayrischen Lieferanten fündig: 25 mm breites, schwarzes Kunstleder, anderthalb Millimeter dick, 10 Meter auf Rolle als längste lieferbare Einheit. Man konnte die Produktpalette dieses Lieferanten auf mehreren, großen Verkaufsplattformen finden, überall mit sehr guten Bewertungen, was die Qualität und die Beschreibung der Ware anbelangte. Das war mir wichtig, denn ich konnte mich ja nur darauf verlassen. Wie die Kunstlederstreifen in Wirklichkeit aussahen und wie sie zu verarbeiten waren, das würde ich erst erfahren, wenn ich sie in der Hand hielt …

Spannend: die Bespannung

Ich beginne mit der Lehne, sobald ich das Kunstleder in der Hand halte. Es macht einen sehr guten Eindruck, genau so, wie ich es mir gewünscht habe. Fast. Denn als ich die Lehne zur Probe bespanne – ich will feststellen, ob ich mit meinen Berechnungen hinkomme und wie sich die Spannung erhöht, wenn die Querriemen eingeflochten werden – fällt mir eine komische Stelle ins Auge. Klebt da Tesa darauf? Ne, es geht nicht ab. Ich sehe mir die nächste Rolle an. Wieder so eine Stelle und wieder genau in der Mitte. Na toll, das scheint eine 5-Meter-Markierung zu sein! Was ne Schnapsidee!!!

Ich sehe mich tatsächlich genötigt, die Markierung rauszuschneiden, die zwei Enden zu verkleben, zu tackern und zu nähen und zwar so, dass sie passgenau unter einem anderen Riemen verschwindet. Was für ein überflüsser Schmarrn!

Trotz des unnötigen Gestückels geht mir die Lehne ziemlich rasch von der Hand und die Nahstellen sind tatsächlich nicht zu sehen. Ich habe sie mit einer Rundherum-Bespannung versehen, denn ich finde es schöner, wenn die von allen Seiten sichtbare Lehne auch von hinten geschlossen beflochten ist.

Die Sitzfläche hingegen bereite ich anschließend für die klassische Hakennagel-Technik vor. Um die Nägel in gleichmäßigem Abstand setzen zu können, klebe ich Malerkrepp von innen auf die Leisten, zeichne an und bohre die Nagellöcher mit dem Akkubohrer vor. Die Nägel sind immerhin 2,2 Millimeter dick und lassen sich, ohne vorzubohren, sehr schwer ins Holz.

Und diesmal hab ich richtig Glück: die Markierungen verschwinden, ganz von selbst, je in einer Nagelbiegung!! Und: eine Zehnmeterrolle reicht exakt, um ohne Stückeln eine Richtung zu bespannen. So unglaublich genau auf den Millimeter, wie es nur Glück und Zufall schaffen..

Und dann ist er tatsächlich fertig, der Dieckmann aus Wurzelholz-Imitat und Kunstleder und sieht so ganz und gar nicht billig oder künstlich aus, sondern, in aller Bescheidenheit, richtig edel!

Auflösung „Welche sind gemalt?“ (von l.o. nach r.u.)
Na, richtig geraten? Gemalt sind 1, 5,6,7 und 8.

BARBARA Written by:

One Comment

  1. Lars Geitner
    Februar 7, 2023
    Reply

    Hallo,

    Hier der „freundliche“ Stuhllieferant. Ich bin tatsächlich begeistert vom Endergebnis dieser wirklich aufwendigen aber auch extrem außergewöhnlichen Bearbeitung. Ich bin froh Ihnen den Stuhl verkauft zu haben. Sie sind echt eine Künstlerin und haben mich begeistert.
    Vielen Dank

    Beste Grüße
    Lars Geitner
    Warenparadies

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