Fascinator – mehr als ein albernes Hütchen
Trotz meines Grafik Design-Studiums, oder vielleicht auch gerade deswegen, habe ich einen Arbeitgeber aus Agenturkreisen nie in Betracht gezogen, ja, geradezu gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Und wo bin ich jetzt gelandet? Richtig! In einer Agentur. Und das auch noch gegen Jahresende. Das bedeutet: Weihnachtsfeier. In einer Agentur: Weihnachtsfeier mit Motto…
Und ich hasse Mottopartys! Kann man nicht einfach zusammenkommen, wie man eben ist, und gemeinsam feiern? Nein, es braucht ein Motto! In diesem Falle ist es „Artsy X-Mas“, was da heißt: Dresscode feierlich und zudem auch noch kreativ und künstlerisch inspiriert von Banksy, Münter, Kahlo und Konsorten. Außerdem ist in der Einladung vermerkt, es müsse nichts Neues gekauft werden. Ein klarer Aufruf zum DIY und Kreativsein!
Herausforderung angenommen
Ich gehe methodisch vor. Genannte Künstler und ihre Werke analysieren. Noch ne knappe Woche Zeit, also nix Aufwendiges. Es ist Winter, also nichts, worin ich friere. Damit fällt das einzige Kleidungsstück aus, das mir als einigermaßen geeignet erschienen wäre, nämlich mein Kleid aus zebragemustertem Stoff – leider ein Sommerkleid…
Aber der Zebrastoff hat’s mir angetan und besitzt auch einen Bezug zu Banksy. Und ich habe noch Stoff übrig. Somit wird der verwurstet! Schmale schwarze Hose, schwarzer Wollpulli, aus dem Zebrastoff ein darunter getragenes, aber gefaktes Longshirt in Form eines kurzen Röckchens, das unter dem Pulli herausschaut, oben ein kleiner Kragen. Und den feierlichen Akzent setze ich mit einem Kopfschmuck. Aber was für einem nur?
Schleife, Turban, Haarband? Nö, das bin nicht ich und so will ich auch nicht mit der U-Bahn fahren, sorry! Aber ein Fascinator, so eine Art Minihütchen zum ins Haar stecken, das ist es! Das hätte der guten Frida ebenfalls gefallen – und dazu reicht auch der Reststoff noch!
Ein Fascinator wird gebastelt
Beim Nähen des Kleides wurden bestimmte Partien, wie zum Beispiel der Ausschnitt, mit Bügelvlies stabilisiert. Das Vlies, von dem auch noch ein Stück übrig ist, erscheint mir ideal als Basis für den Fascinator – es ist schwarz und superleicht. Also breite ich das zirka ein mal ein Meter große Vlies mit der beschichteten Seite nach oben aus, lege die Ecken zur Mitte. Und nochmal und nochmal, bis eine zipfelige, leicht asymmetrische, bauschige Form entstanden ist. Der Größencheck passt und ich fixiere die gefaltete Basis vorsichtig mit schwarzem Zwirn.
Dann falte einen etwa 50 Zentimeter langen und 8 Zentimeter breiten Streifen Zebrajersey der Länge nach – auf der einen Seite genau in der Mitte, zum anderen Ende hin etwas breiter und hefte den schrägen Streifen mit schwarzem Faden. Nun kann ich ihn zu einem rosenähnlichen Gebilde drehen, beginnend mit dem schmäleren Teil als Blüteninneres. Wenn man innen enger rollt und nach außen hin den Stoff etwas in Falten legt, um eckige Zipfelchen zu erzeugen, entsteht eine sehr echt wirkende Rosenblüte.
Die fertige Rose umspanne ich schließlich mit einem Gummi, fixiere die Form mit ein paar Stichen, entferne den Gummi wieder und nähe die Blüte anschließend so an meinem Basisbausch fest, dass das ungesäumte untere Ende der Rose im Vlies verschwindet.
Ich stecke mir, zwischen Scheitel und Schläfe, einen stabilen Kunststoffkamm ins Haar, dort, wo der Fascinator später sitzen soll. Das Gesamtgebilde, das ich absichtlich nicht völlig kreisrund und konzentrisch gestaltet habe, wird nun angehalten und so lange gedreht, bis es gut sitzt und dann, zusammen mit dem Kamm wieder entfernt.
Jetzt, da ich weiß, wie Kamm und Bausch zueinander stehen müssen, kann ich den Kamm mit ein paar wenigen Stichen am Bausch annähen. Und eigentlich wäre damit der Fascinator auch schon fertig – so zumindest hatte ich ihn ursprünglich geplant. Doch jetzt habe ich Blut geleckt: wenn schon Fascinator, dann auch richtig! Schnell bestelle ich noch ein Stück schwarzen standfesten Tüll und glitzernden Softtüll, in der Hoffnung, das Ganze möge noch rechtzeitig bei mir eintreffen…
Vorweihnachtszeit und Lieferung …
Ha, der standfeste Tüll ist zwei Tage später da! Sofort schneide ich ein Stück ab, ca. 140 cm x 35 cm groß, falte ihn zunächst längs – 1 Drittel zu 2 Drittel – und anschliessend zu einem Fächer, den ich am unteren Ende mit wenigen Stichen fixiere. Der Kamm samt Bausch wandert wieder ins Haar, der Fächer so festgesteckt, dass er halb steht, halb liegt und in der Mitte eine kleine Drehung vollführt.
Schnell mit Nadeln festgesteckt, und dann mit einigen Stichen angenäht. So sieht der Fascinator schon richtig gut aus! Fehlt nur noch der Glitzertüll, dessen Sitz ich schon mal mit einem Streifen des steifen Tülls simuliere: schräg vor der oberen Gesichtshälfte. Jetzt muss nur noch die Lieferung pünktlich kommen!
Was sie natürlich nicht tut! Also muss Plan B in Kraft treten: ich falte einen weiteren, kleineren Fächer, 100 cm x 25 cm in der Grundfläche, in der Mitte längs geteilt, und befestige diesen als Ersatz für den ursprünglich geplanten „Vorhang“ aus Glitzertüll.
A Craftsperson’s Conclusion
Es waren rund tausend (!) neue Kollegen auf der Party anwesend, aber nur wenige haben sich was in Sachen Motto einfallen lassen. Nennt man nun das Perlen vor die Werber oder Creative Understatement? Ich bin nicht so lange geblieben, um letzteres genauer untersuchen zu können … Ist aber auch nicht so schlimm, denn ich für meinen Teil hatte trotzdem Spaß!
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