Wenn der Algorithmus zuschlägt – Jugendstil-Beistelltisch

Was hat ein Algorithmus mit einem Jugendstil-Beistelltisch zu tun? Sehr viel! Doch was ist ein Algorithmus eigentlich? Heinz und ich lernten mal bei Freunden einen recht sympathischen Herrn kennen, der sich mit eben diesem Thema beruflich beschäftigte. Als ich interessiert nachfragte, redete sich der Gute in begeisterte Erregung und erklärte alles ganz genau. Nach einer halben Stunde hielt er erschöpft inne, sah mich an und gestand gerührt: so lange hat sich noch niemand mit mir über meinen Beruf unterhalten…

Nun ja, ich muss gestehen, dass auch ich erschöpft war vom Zuhören – doch davon abgesehen, dass ich mir nicht mal einen Bruchteil dessen, was er da en detail ausführte, merken konnte – interessant war es dennoch. Was ich aber behalten habe: ein Algorithmus verarbeitet der Reihe nach Informationen, um eine Aufgabe oder ein Problem zu lösen. Und kann einem mit seiner Präzision echt unheimlich werden.

Wenn der Algorithmus dich besser kennt als du selbst

So zum Beispiel bezüglich meiner Suchanfragen bei einem privaten Kleinanzeigenportal – diese programmierte Intelligenz lernt mich mit jeder Anfrage ganz offensichtlich besser kennen und präsentiert mir mit zunehmendem Maße Möbelstücke, die so sehr auf mich zugeschnitten sind, dass es, ja, eben fast schon unheimlich ist.

So ploppte neulich ein Vorschlag auf, dem ich natürlich nicht widerstehen konnte: ein sanft jugendstiliges Beistelltischchen, dessen ursprüngliche Aufgabe sich mir auf den ersten Blick nicht erschloss. Doch das war so was von egal, denn das Ding sprach mit mir und ich musste es haben!

Ein Jugendstil-Beistelltisch findet seine Bestimmung

Nachforschungen ergaben aber dann: das ist ein Nähtisch! Und – richtig – ein Möbel für die Dame eines vornehmeren Haushalts. Während das Personal, sprich die Hausmaid, den löchrigen Socken der Herrschaft mit dem mobilen Klappnähkästchen zu Leibe rückte, drapierte sich die unausgelastete Lady vornehm neben dem Nähtischchen, in dem sie die Utensilien für feine Stickereien verstaut hielt. Es sollte ja nicht nach Arbeit aussehen! Dieses Nähtischchen wurde jedoch offenbar noch zusätzlich getarnt – mit einer dekorativen Pflanze, die hin und wieder mit einem Schluck Wasser versorgt wurde. Doch so, wie die Tischplatte aussah, konnte es sich nicht um Zielwasser gehandelt haben…

Erworben habe ich dieses Möbel übrigens, wie bereits erwähnt, mal wieder im Eldorado verkannter Einrichtungsgegenstände, bei ebay Kleinanzeigen. Und dort sind die Fotos maßgeblicher Mängel manchmal nicht ganz so scharf bzw. selbige lassen sich gar nicht im Bild festhalten, sodass das Auspacken aus dem Versandkarton stets für Überraschungen gut ist. So auch in diesem Falle: das Tischlein wackelte wie der Schwanz eines erregten Rindviehs, es wies zahlreiche UV-bedingte Farbschattierungen auf, die Beschläge waren mit äußerst unpassenden Schlitzschrauben befestigt worden und die Deckelplatte war, wie gesagt, von Wasserrändern und -flecken gezeichnet.

Die Arbeit wartet

Also, hoch die Ärmel und los! So erfolgte eine Grundreinigung vom Schmutz und das Entfernen von altem Schellack mit Spiritus, eine Farbauffrischung mittels leichter Lasur und abschließend verpasste ich dem Möbel eine matte Schellackpolitur, nachdem ich es komplett auseinandergenommen und wieder stabil verleimt hatte. Dann ging es an die Deckelplatte.

Die Platte war jedoch nicht nur von Wasserrändern entstellt, sondern auch von sich lösendem, gesplittertem Furnier an den Rändern. Um neu furnieren zu können, benötigte ich aber einen ebenmäßigen, fest verleimten Untergrund.

Ein paar Tricks

Und um diesen sicherzustellen, entfernte ich zunächst das fransige Furnier großzügig mit einem Stemmeisen, dann wendete ich erstmals eine Technik an, die jedem Weißleimverwender den blanken Angstschweiß auf die Stirne treibt: die zu furnierende Stelle UND das ergänzende Furnierstück werden mit einer gleichmäßig dünnen Schicht Weißleim bestrichen, dann muss man warten, bis der Leim glasig wird. Glasig!!! Normalerweise bedeutet das: ällalätsch, jetzt hab ich abgebunden und mag nimmer kleben! Doch hier kommt nun ein Trick zum Einsatz, ein Trick in Form eines Bügeleisens.

Sobald also der Leim glasig geworden ist, legt man das zu verleimende Furnierstück, Klebeschicht auf Klebeschicht, auf den Untergrund, legt ein Stück Baumwollstoff obenauf und drückt dann das Bügeleisen drauf, das auf Stufe zwei bis zweieinhalb vorgeheizt wurde. Danach ist noch kurz Zeit für kleine korrektive Rutschereien, doch sobald die Stelle abgekühlt ist, klebt die Verbindung wie festbetoniert. Da staunt der Weißleimverwender…

So wie oben (auf dem vierten Bild) sieht eine derart reparierte Stelle dann aus – glatt und eben wie ein Babypopo. Gut, das Ganze könnte man noch optimaler gestalten, würde man auf das passende Holz zurückgreifen, doch das war in diesem Falle nicht nötig, da die Deckelplatte ja komplett neu gestaltet werden sollte und die Reparaturstellen dann ohnehin überklebt werden.

Bevor ich aber der Deckelplatte zu Leibe rückte, gab’s noch ein paar handwerkerische Zaubertricks: was zum Beispiel tun, wenn man Nägel in Messing antik benötigt, aber nur kupferglänzende zur Hand hat, die einzigen, die von Länge und Form her passen. Und Sonntag ist und der Baumarkt geschlossen hat und man SOFORT weitermachen will? Abrakadabra, man feile den Nagelkopf ein wenig rau, tauche ihn in Essig-Stahlwolle-Beize, erhitze ihn fast bis zum Glühen und schrecke ihn in Essig-Stahlwolle-Beize ab. Voilà, es ward Messing antik!!!

Trick zwei – der Zahnpastatrick: das Untergestell des Tischchens ist komplett neu verleimt, nun soll die Deckelplatte mit neu gesetzten Holzdübeln darauf befestigt werden. Zugegeben, das käme natürlich erst nach der Neugestaltung des Furniers, aber weil wir gerade bei Zaubertricks sind, musste ich das einfach vorziehen…


Die Frage also: wie setzt man nun passgenaue Bohrlöcher auf der Gegenseite, wenn man, so wie ich, bis dato noch nie etwas von Zentrierspitzen gehört hat? Ganz einfach: man bohrt Löcher in das Unterteil, steckt kleine Röllchen aus Küchenkrepp hinein, schneidet die Röllchen plan mit der Oberfläche ab, gibt etwas weiße Zahnpasta auf jedes Röllchen, lässt die Zahncreme kurz antrocknen, passt dann die Deckelplatte ein, drückt sie kurz an – und schon zeigen einem die Abdrücke der Zahnpasta exakt die Stellen, an denen man die Gegenbohrungen setzen muss. Zaubermäßig praktisch, oder!?!

Meine Eigenkonstruktionen tun ihren Dienst

Nun zur Deckelplatte: diesmal wollte ich mit Maserung spielen und machte mir ein Dekoband aus Teak. Ein Streifen längsgemasert, ein Streifen quergemasert, immer schön im Wechsel auf Filmoplast Stickvlies aufgeklebt. Zum Schutz kam noch weiche Schablonenfolie über das Gebilde aus 10 mm-Streifen.

Dann ging’s ab in meine selbstgebaute Schneidkonstruktion und ich schnitt 10 mm breite Streifen ab. Mit Vlies im Rücken und Folie vorne drauf hält das wie Bombe und kann so auch verleimt werden! Zwei Streifen übereinander, um ein Quadrat verschoben – ein reizvolles Spiel mit Maserung!

Wir zeitraffern: die Deckelplatte ist fertig aufgeleimt!!! Diesmal habe ich den Druck offenbar gut verteilen können und sogar das wellfreudige Tineo musste klein beigeben!!!

Ich bessere kleine Risse und Unsauberkeiten bei ein paar Fugen mit Hartwachs aus. Das ist ja viel zu dunkel, sagst du? Ja, jetzt noch, aber wenn lackiert wird, passt der Ton! Also ein Reststück des jeweiligen Furniers erst probelackieren und sich nach dieser Farbe richten.

Auch der Schleifstaub nach dem Drüberschleifen macht einen Einheitston und die Risse verschwinden wie von Geisterhand!

So sieht’s fertig aus: alter Lack gereinigt, Farbe mit passender Lasur aufgefrischt, neu geschellackt, neu verleimt und nun stabil wie ne Eins, die Beschläge mit neuen, selbstantikisierten Rundkopfnägeln statt mit goldglänzenden Schlitzschrauben befestigt – und ’ne neu furnierte Deckelplatte.

Da geht Frau Schneider mal nicht ins Internet, sondern läuft sich extra Löcher in die Socken, um anschließend endlich dieses höchst unnütze, aber umso dekorativere Nähschränkchen endlich in Betrieb nehmen zu können!!!

BARBARA Written by:

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